Sind unsere Verjährungsfristen nur schöner Schein?

Gesetze sind niemals perfekt, das sollte allgemein bekannt sein. Daher müssen diese auch stets überarbeitet, verbessert und kontrolliert werden. Jedenfalls im Idealfall. Es kommt immer wieder vor, dass man Gesetzeslücken entdeckt, Unklarheiten oder man ein Gesetz anpassen muss, da sich die Gesellschaft weiter entwickelt. Als ich kürzlich damit begann mich in das Thema Fristen einzuarbeiten, da es hier immer wieder zu Diskussionen kommt, so zuletzt während einer Verhandlung vor knapp zwei Wochen, bin ich jedoch auf eine gesetzliche Regelung gestoßen, die mich mehr als nur erschreckt hat. 

Beginnen wir aber erstmal mit den Grundlagen. Um die verschiedenen Fristen voneinander abzugrenzen und da unser Gesetz leider nicht immer ganz eindeutig mit den verschiedenen Begrifflichkeiten ist, habe ich folgende Tabelle mit den für die heutige Kolumne wichtigsten Fristen aufgestellt, die Ihnen die Unterscheidung hoffentlich etwas erleichtert.

Art der FristGesetzesgrundlageSinn / Bedeutung der Frist
Verfolgungsfrist
(auch als Verjährung bekannt)
§ 45 Penal CodeZeitraum, innerhalb dessen Delikte rechtlich geltend gemacht werden können
Ermittlungsfrist§ 30 Penal CodeZeitraum, innerhalb dessen offiziell durch die StA ermittelt wird und welcher verlängert werden kann
Verfahrensfrist§ 28 Penal CodeZeitraum, innerhalb dessen ein gerichtliches Verfahren durchgeführt werden darf und welche verlängert werden kann (geregelt in § 29 PC)

Bedeutung und Sinn von Verjährung

In den meisten US-Staaten, und so kennen es auch die meisten von uns, heißt Verjährung, dass man nach einem gesetzlich geregelten Zeitraum, nicht mehr strafrechtlich für eine Tat verfolgt werden kann. Das heißt nicht, dass diese Tat dann legal war oder verziehen wurde, sie kann nur nicht mehr bestraft werden. Bereits in der Vergangenheit habe ich in Gesprächen mit Ermittlern häufig erlebt, dass Verjährungsfristen als negativ wahrgenommen wurden. Jeder, der schon einmal viel Zeit und Energie in ein Projekt gesteckt hat und dieses dann aus zeitlichen Gründen gecancelt wurde, kann dies sicherlich nachvollziehen. Auch Opfern ist mitunter nur schwer zu erklären, warum ihre Fälle nicht mehr bestraft werden können. Also warum gibt es dieses Konzept eigentlich?

Ein zentraler Grund für die Existenz dieser Fristen ist der Schutz des Rechtsfriedens. Das heißt, dass Menschen nicht dauerhaft in Angst leben sollen, ob sie irgendwann doch noch für eine Tat belangt werden oder nicht. Sie sollen ab einem gewissen Zeitpunkt wieder ein “normales” Leben führen können, genauso wie Opfer zur Ruhe kommen sollen. 

Des Weiteren ergeben sich zunehmend Schwierigkeiten in der Beweisbarkeit. Zeugen erinnern sich immer schlechter oder sind gar nicht mehr auffindbar. Beweise können verloren gehen und nicht mehr zuverlässig geprüft werden. Das alles erschwert die Wahrheitsfindung in einem Prozess und somit die gerechte Durchführung eines Verfahrens. Übrigens nach meiner Beobachtung ein sehr bekanntes Phänomen während der Prozesse in unserem Staat. Die Antwort “Das weiß ich nicht mehr” wird nicht selten gegeben.

Und zuletzt soll eine Strafe keine Rache sein, sondern soll erziehen, abschrecken und das Verhalten der Menschen gesetzestreuer machen. Liegt eine Tat sehr lange zurück, kann sich ein Täter bereits stark verändert haben und einen neuen Weg eingeschlagen haben. Eine erzieherische Wirkung wäre in solchen Fällen obsolet. Strafen müssen immer verhältnismäßig sein.

Ermittlungen bereits vor Beginn der Verjährungsfrist möglich

In den meisten US-Staaten beginnt die Verjährungsfrist mit dem Zeitpunkt der Straftat. Außerdem ist es möglich, dass eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt, auch wenn die Frist bereits abgelaufen ist, vorausgesetzt während dieser Zeit erfolgt die offizielle Anklage.

In unserem Rechtssystem gelten verschiedene Verjährungsfristen, je nachdem, ob es sich um eine Ordnungswidrigkeit, ein Vergehen oder gar ein Kapitalverbrechen handelt. Hier kommt jedoch die Krux an der Geschichte und der Umstand, der mich so erschreckt hat. 

Laut dem grau gehaltenen Text in § 45 Penal Code, beginnen diese Fristen erst dann, wenn die Staatsanwaltschaft offiziell über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt wird, wobei “offiziell in Kenntnis gesetzt” in diesem Zusammenhang heißt, die Ermittlungsakten wurden im System offiziell an das Prosecution Office übermittelt. Jedenfalls in den Fällen, in denen es noch zu keiner Verhaftung gekommen ist, denn dann gelten die Fristen des Strafverfahrens, die unter § 28 Penal Code geregelt sind. 

Kurz gesagt:

Wird jemand zB eines Vergehens beschuldigt, das gesetzlich zwar nach 30 Tagen verjährt, kann eine Bestrafung in der Theorie aber auch erst nach 6 Monaten erfolgen, sofern der Tatverdächtige

  1. nie offiziell verhaftet wurde und
  2. die Staatsanwaltschaft nicht offiziell über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt wurde.

Das heißt in der Theorie, jede Strafverfolgungsbehörde außer der Staatsanwaltschaft, kann nach eigenem Ermessen bestimmen, wie lange sie ermitteln möchte, solange keine Verhaftung erfolgt. Ein Umstand, den ich in höchstem Maße bedenklich finde und der die Frage aufwirft: Haben unsere gesetzlich bestimmten Verjährungsfristen überhaupt noch einen Sinn?

Keine Rechtssicherheit für Betroffene

In dieser Regelung sehe ich verschiedene Probleme und es wäre von geeigneter Stelle zu prüfen, ob diese möglicherweise sogar verfassungswidrig ist. In jedem Fall fehlt hier jedoch die Rechtssicherheit, die jeder Rechtsstaat voraussetzt. Ein Rechtsstaat muss vorhersehbar, kontrollierbar und verhältnismäßig sein. Bei dieser Regelung erfährt jedoch kein Betroffener, wann die Verjährungsfrist in seinem konkreten Fall beginnt und damit abläuft. 

Ohne Kontrolle und zeitliche Befristung, stellen diese beliebig langen Ermittlungszeiten der Exekutivbehörden eine Aushöhlung der Gewaltenteilung dar. Es könnte zu Missbrauch kommen, Ermittlungsverfahren könnten als Druckmittel gegen unliebsame Personen oder politische Gegner eingesetzt werden. Ich denke, Sie verstehen worauf ich hinaus möchte und was mich an dieser Regelung so erschreckt hat. Nicht umsonst kam mir bei diesem Thema folgender Satz in den Kopf: “Die Polizei, dein Freund und Überwacher.” Dank dieser gesetzlichen Regelung durchaus möglich.

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Im Gegensatz zu sachlichen und neutral gehaltenen Artikeln, ist eine Kolumne ein subjektiverer und meinungsbetonterer Text eines Autors. Sie soll informieren, jedoch auch unterhalten und kann auch die persönliche Perspektive des Autors auf bestimmte Themen enthalten.