Gesetze regeln das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Sie bestimmen, was erlaubt ist und was nicht – ob es um Verkehr, Steuern oder Strafrecht geht. Aber obwohl Gesetze geschrieben sind, heißt das noch lange nicht, dass ihre Bedeutung immer auf den ersten Blick klar ist. Oft muss man genauer hinschauen – und manchmal sogar darüber diskutieren, was ein Gesetz wirklich meint. Und das kann mitunter sehr komplex sein und ein Grund dafür, warum sich Juristen so gerne streiten.
Gesetzestexte sind keine Romane. Sie sind knapp und in einem ganz eigenen Sprachstil geschrieben. Als einfaches Beispiel folgender Auszug:
Vehicle Code, § 2 Abs. 5
“Es ist nicht erlaubt, ein Fahrzeug zu führen, wenn eine klar eingeschränkte körperliche oder psychische Untüchtigkeit vorliegt. […] ”
Das klingt zunächst eindeutig. Doch was genau ist eine „klar eingeschränkte körperliche oder psychische Untüchtigkeit“? Gilt das bei einer Grippe? Bei Müdigkeit? Wie stark muss die Einschränkung sein? Und was bedeutet „klar“ in diesem Zusammenhang? Genau hier beginnt die Arbeit eines Juristen, der sich mit den Auslegungsmethoden auseinandersetzt.
Juristen haben vier klassische Methoden entwickelt, um Gesetzestexte zu verstehen und auszulegen. Diese Auslegung sorgt dafür, dass Gesetze möglichst einheitlich, logisch und gerecht angewendet werden.
1. Grammatische Auslegung – Was steht da eigentlich genau?
Hier wird auf den genauen Wortlaut geachtet. Was sagen die Begriffe im Gesetz und wie sind sie im Alltags- oder Fachgebrauch zu verstehen? In unserem Beispiel bedeutet “Untüchtigkeit”: nicht in der Lage sein, etwas sicher oder zuverlässig zu tun. „Klar eingeschränkt“ lässt darauf schließen, dass die Einschränkung deutlich erkennbar sein muss – also nicht nur eine leichte Unwohlsein, sondern z. B. starkes Zittern, Schwindel, Verwirrtheit oder Ausfallerscheinungen. Das Ziel dieser Auslegungsart ist es herauszufinden, was der Text sprachlich tatsächlich sagt, ohne darüber hinauszugehen.
2. Systematische Auslegung – Wie passt das in das große Ganze?
Hier schaut man auf den Zusammenhang der Norm mit anderen Vorschriften: In welchem Gesetz steht sie? Gibt es verwandte Regelungen? Welche Begriffe werden dort verwendet? Unser Beispiel steht im Vehicle Code. Gibt es hier also weitere relevante Normen? Zum Beispiel zu Alkoholkonsum, Drogen oder krankheitsbedingten Ausfällen? Oder findet man auch in anderen Bereichen Begriffe wie “Fahruntüchtigkeit” oder “körperliche Mängel”, kann man vergleichen, wie streng die Anforderungen dort sind, was einem bei der Interpretation unseres Beispiels helfen kann. Das Ziel ist es, den Text nicht isoliert, sondern im System des Rechts zu verstehen.
3. Historische Auslegung – Was wollte der Gesetzgeber damals?
Hier wird gefragt: Wann wurde die Norm eingeführt? Was wollte der Gesetzgeber mit ihr erreichen? Welche Probleme lagen damals vor? Vielleicht wurde die Vorschrift eingeführt, um mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu garantieren, nachdem es vermehrt zu Unfällen durch Übermüdung oder Medikamenteneinfluss kam. Gesetzesbegründungen oder Parlamentsprotokolle könnten zeigen, welche Situationen konkret gemeint waren. Das Ziel ist es, die ursprüngliche Absicht und Motivation hinter der Regel zu verstehen.
4. Teleologische Auslegung – Was ist der Sinn und Zweck?
Diese Methode fragt: Was soll mit dieser Vorschrift erreicht werden? Welchen Zweck verfolgt das Gesetz? In unserem Beispiel ist das Ziel des Gesetzes klar: Unfälle im Straßenverkehr verhindern, die entstehen, wenn Fahrer nicht fahrtüchtig sind – sei es durch Krankheit, psychische Beeinträchtigung oder andere Umstände. Daraus folgt: Auch wer übermüdet oder unter Medikamenteneinfluss steht und dadurch objektiv nicht sicher fahren kann, ist untüchtig – auch wenn der Begriff im Gesetz nicht alle Fälle einzeln auflistet. Das Ziel dieser Auslegungsart ist es also, das jeweilige Gesetz so anzuwenden, dass sein Zweck erfüllt wird – hier die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten.
Fazit: Gesetze verstehen heißt auslegen
Gesetze sind nicht einfach Gebrauchsanleitungen – sie lassen Raum für Interpretation. Um sie im Alltag sicher und gerecht anwenden zu können, müssen Juristen den Sinn von Vorschriften mit Hilfe der vier Auslegungsmethoden erschließen:
– Was sagt der Wortlaut?
– Wie passt die Norm ins System?
– Was war die Absicht des Gesetzgebers?
– Und was ist der Zweck der Regelung?
Erst durch diese Auslegung wird Recht lebendig und anwendbar – auch in Situationen, die der Gesetzestext nicht im Detail beschreibt.
Über die richtige Auslegung von Gesetzen, streiten Juristen gerne und häufig. Nicht immer ist diese so einfach wie in unserem Beispiel. Am Ende haben in der Regel Richter das letzte Wort, doch wissen wir alle, dass selbst Richter sich irren können. Daher finde ich es wichtig, dass auch weiterhin fleißig diskutiert wird, denn nur so, können die Regeln und Gesetze fair und einheitlich angewendet werden. Die Auslegung sorgt erst dafür, dass Gesetze verständlicher und anwendbarer auf die Realität wird, auch wenn sich die Gesellschaft im Laufe der Jahre zB in Sprache oder technischer Entwicklung verändert. Und nur so können Lücken im Gesetz oder Fehler im Gesetz entdeckt werden, die vielleicht durch diese gesellschaftliche Veränderung erst entstanden sind.
Also haben wir ein wenig Geduld, wenn sich die Juristen mal wieder in Fachdiskussionen verlieren. Vielleicht nützt es uns ja am Ende.
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Im Gegensatz zu sachlichen und neutral gehaltenen Artikeln, ist eine Kolumne ein subjektiverer und meinungsbetonterer Text eines Autors. Sie soll informieren, jedoch auch unterhalten und kann auch die persönliche Perspektive des Autors auf bestimmte Themen enthalten.